Für die Eingruppierung einer Arbeitnehmerin in die Bewertungsgruppe 6 des Entgelttarifvertrags für das Hotel- und Gaststättengewerbe des Landes Hessen (ETV) ist in erster Linie deren Tätigkeit und nicht deren Beschäftigungszeit maßgebend.
Das ergibt für das Bundesarbeitsgericht die Auslegung der entsprechenden Bestimmungen des ETV.
Tarifvertragsparteien sind bei der Vereinbarung von Kriterien für die Zuordnung von Tätigkeiten und/oder Arbeitnehmern zu bestimmten Entgeltgruppen ihres eigenen Vergütungsschemas weitgehend frei. In der Regel wird die jeweilige Tätigkeit der Arbeitnehmer tariflich bewertet. Es ist aber auch möglich und zulässig, stattdessen oder zusätzlich personenbezogene Anforderungen, wie Ausbildung, Beschäftigungszeit usw. heranzuziehen.
Die Tarifvertragsparteien des ETV haben vorrangig eine Bewertung der Tätigkeiten der betroffenen Beschäftigten gewählt. Es kann dahinstehen, ob die sich an einzelnen Stellen der Vergütungsordnung aufzufindenden eher personenbezogenen Merkmale eine zusätzliche Anforderung darstellen sollen. Ohne die Erfüllung der jeweiligen Anforderungen an die Tätigkeit ist das jeweilige Tätigkeitsmerkmal der Bewertungsgruppe unabhängig von etwaigen, ggf. zusätzlichen personellen Voraussetzungen jedenfalls nicht gegeben.
Der ETV enthält in § 4 die Grundsätze, die der Eingruppierung zugrunde liegen. Dabei ist allein die vom Arbeitnehmer ausgeübte Tätigkeit maßgebend (§ 4 Abs. 5 Unterabs. 1 ETV). Grundlage der Eingruppierung ist die “Zuordnung der verschiedenen Tätigkeiten” (§ 4 Abs. 4 Unterabs. 1 ETV), die nicht durch die beruflichen Bezeichnungen der Arbeitnehmer, sondern durch “die Art der verrichteten Tätigkeit und die Anforderungen an die Arbeitnehmer” (§ 4 Abs. 4 Unterabs. 4 ETV) gekennzeichnet sind. Ein und dieselbe Tätigkeit kann daher grundsätzlich nur einer Bewertungsgruppe zugeordnet werden, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes im ETV bestimmt ist.
Dies wird durch die tariflichen Verfahrensbestimmungen bestätigt. In § 4 Abs. 1 Unterabs. 2 ETV sind diejenigen Situationen benannt, in denen überhaupt eine Eingruppierung nach dem ETV erfolgt. Es sind dies – außer bei der Einführung des ETV – die Einstellung und sodann die Versetzung oder die wesentliche Änderung der Arbeitsinhalte. Eine Änderung der Eingruppierung außerhalb dieser Konstellationen, insbesondere bei einem bloßen Ablauf einer bestimmten Zeit der Beschäftigung ohne sonstige Änderung der Tätigkeit, ist nicht vorgesehen.
Eine Änderung des Entgelts nach dem bloßen Ablauf bestimmter Beschäftigungszeiten findet allerdings ausdrücklich dann statt, wenn in der Bewertungsgruppe 4 ETV (Angelernte Hilfskräfte) nach zwei, vier, fünf und sechs Jahren jeweils eine Höherstufung innerhalb der Bewertungsgruppe 4 ETV vorgenommen wird. Dies bestätigt das Grundprinzip, wonach bloße Beschäftigungszeiten bei der Eingruppierung außer Betracht bleiben, in zweifacher Hinsicht. Zum einen bezeichnet der hier vorgesehene “Zeitaufstieg” keine Höhergruppierung im tariflichen Sinne, sondern lediglich eine Höherstufung innerhalb derselben Bewertungsgruppe. Die Tarifvertragsparteien waren sich danach einig, dass bei diesen Tätigkeiten keine höhere – abstrakte – tarifliche Bewertung erfolgt, auch wenn sie längere Zeit ausgeübt werden, sondern dass bei gleichbleibender Tätigkeit nach Ablauf bestimmter Zeitabschnitte lediglich ein höheres Entgelt als bisher gezahlt werden soll. Zum andern ergibt sich aus dieser ausdrücklichen Regelung einer Entgeltänderung aufgrund Zeitablaufs bei unveränderter Beschäftigung – ebenso wie bei § 5 Abs. 2 ETV (dazu sogleich) -, dass es sich dabei gerade nicht um ein ungeschriebenes Prinzip der Eingruppierung selbst handelt.
Wie der “Zeitaufstieg” innerhalb der Bewertungsgruppe 4 ETV, so ist auch der zur Entgelterhöhung führende zeitliche Faktor innerhalb derjenigen tariflichen Bewertungsgruppen des ETV, die sog. “Aufstiegsgruppen” vorsehen, ausdrücklich geregelt.
§ 5 Abs. 2 ETV befasst sich mit den Tätigkeitsmerkmalen der Bewertungsgruppen 6 bis 10 ETV. Diesen ist gemeinsam, dass sie innerhalb einer tariflichen Bewertungsgruppe zwei Stufen vorsehen, von denen die erste mit der Bezeichnung “Aufstiegsgruppe” (zB 6.1, 7.1 usw.) und die zweite mit der Bezeichnung “Endgruppe” (z.B. 6.2, 7.2 usw.) versehen ist (§ 4 Abs. 6, § 5 Abs. 2 Eingangssätze ETV).
Die jeweilige Aufstiegsgruppe wird bei einer Neueinstellung erst nach 6-monatiger Betriebszugehörigkeit erreicht (§ 4 Abs. 6 Unterabs. 2 ETV). Wird ein Arbeitnehmer “mit Aufgaben betraut …, die einer höheren Tarifgruppe zuzuordnen sind”, dh. ändert sich seine Tätigkeit in dieser Weise, dann kann er in die Aufstiegsgruppe dieser Tarifgruppe eingruppiert werden (§ 4 Abs. 6 Unterabs. 1 ETV).
Die Zuordnung zur nächsthöheren Stufe innerhalb der Bewertungsgruppe, nämlich zur “Endgruppe”, erfolgt in der Regel nach “spätestens 12 Monaten” (§ 4 Abs. 6 Unterabs. 1 ETV), also auch nach einer bestimmten Beschäftigungszeit innerhalb der Bewertungsgruppe.
Auch aus der tariflichen Zuweisung von bestimmten Tätigkeitsbeispielen zu den einzelnen Bewertungsgruppen ergibt sich die tätigkeitsbezogene Zuordnung in das Entgeltschema durch die Tarifvertragsparteien.
In der Regel liegt der ausdrücklichen Nennung von Tätigkeits, Regel- oder Richtbeispielen zu bestimmten Entgeltgruppen die Einigkeit der Tarifvertragsparteien dahingehend zugrunde, dass bei der Ausübung der in diesen Beispielen genannten Tätigkeiten von der Erfüllung der abstrakten Anforderungen der jeweiligen Entgeltgruppe auszugehen ist. Den Gerichten für Arbeitssachen ist es in einem solchen Fall verwehrt, die Erfüllung der abstrakten Oberbegriffe der jeweiligen Entgeltgruppen eigenständig zu überprüfen, weil sie dadurch in die Tarifhoheit der Tarifvertragsparteien eingreifen würden. Lediglich wenn ausdrücklich geregelt oder aus anderen Bestimmungen des Tarifvertrags zuverlässig zu entnehmen ist, dass diese Wirkung gerade nicht eintreten soll, sondern es auch bei Vorliegen eines Tätigkeitsbeispiels auf die Erfüllung der in den Oberbegriffen niedergelegten Merkmale ankommt, reicht die Ausübung einer in einem Tätigkeitsbeispiel genannten Aufgabe noch nicht aus.
Die im ETV zu den einzelnen Bewertungsgruppen genannten “Tätigkeitsbeispiele” sind jedenfalls insofern von Bedeutung als sie den jeweiligen abstrakten Oberbegriffen weitgehend unterschiedliche konkrete Tätigkeiten zuordnen. Die Eingruppierung in eine der Bewertungsgruppen ist damit hinreichend an die Ausübung einer zumindest entsprechend zu bewertenden konkreten Tätigkeit gebunden. Sind die jeweiligen Beispielstätigkeiten aber unterschiedlich, kann nicht angenommen werden, dass die Tarifvertragsparteien davon ausgehen, bei unveränderter Tätigkeit sollten allein durch den Zeitablauf nunmehr derselben Tätigkeit ganz andere Beispiele einer anderen, höheren Bewertungsgruppe als gleichwertig zugeordnet werden.
Dabei kann dahinstehen, ob sich ansonsten dem ETV eine von der Regelbedeutung der Tätigkeitsbeispiele abweichende Absicht der Tarifvertragsparteien entnehmen lässt. § 4 Abs. 4 Unterabs. 2 ETV stellt insoweit nur klar, dass die Tätigkeitsbeispiele nicht abschließend aufgeführt sind, die Zuordnung einer Tätigkeit zu einer Bewertungsgruppe daher auch dann möglich ist, wenn sie nicht als Tätigkeitsbeispiel dieser Gruppe ausdrücklich genannt worden ist. Die Arbeitnehmerin beruft sich auch nicht auf die Erfüllung eines der Tätigkeitsbeispiele.
Die hier streitige Bewertungsgruppe 6 ETV weist neun verschiedene Tätigkeitsbeispiele auf. Der Bewertungsgruppe 5 ETV sind 16 und der Bewertungsgruppe 7 ETV sind 11 Tätigkeitsbeispiele zugeordnet. Lediglich das Tätigkeitsbeispiel “Handwerker/-in” ist dabei identisch, ferner ist die “Hausdame” in Bewertungsgruppe 6 und 7 ETV genannt. Alle übrigen Tätigkeitsbeispiele sind unterschiedlich. Hinsichtlich eines identischen Tätigkeitsbeispiels gilt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass bei der Nennung einer Tätigkeit in verschieden wertigen Tarifgruppen zur genauen Bestimmung auf die Oberbegriffe zurückzugreifen ist. Die übergroße Anzahl der voneinander abweichenden Tätigkeitsbeispiele in den “Nachbargruppen” 5 und 7 ETV verdeutlicht im Einzelnen die hierarchische Struktur der betreffenden Bewertungsgruppen und damit auch der Tätigkeitsbeispiele im Übrigen. So ist zur Bewertungsgruppe 5 ETV das Beispiel “Empfangsangestellte”, zur Bewertungsgruppe 6 ETV das Beispiel “Empfangsherr/-dame” und zur Bewertungsgruppe 7 ETV das Beispiel “Empfangsherr/-dame als Schichtleiter/-in” genannt. Angesichts dessen ist es auszuschließen, dass die Tarifvertragsparteien eine unveränderte Tätigkeit allein durch die Dauer ihrer Ausübung einer unterschiedlichen tariflichen Wertigkeit zuordnen wollten, soweit dies nicht ausdrücklich geregelt ist.
Die Höhergruppierung allein durch den Zeitablauf, die das Landesarbeitsgericht durch den Vergleich der abstrakten Anforderungen zu den Bewertungsgruppen 5 und 6 ETV annimmt, würde dazu führen, dass alle Tätigkeiten, die der Bewertungsgruppe 5 ETV zugeordnet sind, im Hinblick auf die Formulierung der abstrakten Anforderungen in den Oberbegriffen nach zwei Jahren einer Höhergruppierung in die Bewertungsgruppe 6 ETV unterzogen würden. Die den beiden Bewertungsgruppen zugeordneten Tätigkeitsbeispiele schließen dies jedoch aus.
Demgegenüber tritt der Umstand, dass der Wortlaut einiger Eingruppierungsregelungen im ETV auf eine gewisse Relevanz von personenbedingten Merkmalen hinzudeuten scheint, zurück. So ist zwar die isolierte Betrachtung von § 4 Abs. 5 Unterabs. 2 und 4 ETV geeignet, die dort genannten personenbezogenen Anforderungskriterien (etwa fachliches und berufliches Können, besondere Erfahrungen und Kenntnisse, die Substitution einer abgeschlossenen Berufsausbildung durch eine fünfjährige fachbezogene Tätigkeit) für die tarifliche Bewertung und Zuordnung der Arbeitnehmer zu den einzelnen Bewertungsgruppen heranzuziehen. Soweit die Arbeitnehmerin jedoch auf die Formulierung verweist, wonach auch “die Anforderungen an die Arbeitnehmer maßgebend” seien (§ 4 Abs. 4 Unterabs. 4 ETV), ist dieses – gerade vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts – so zu verstehen, dass sich die Anforderungen an die Arbeitnehmer in den jeweiligen Oberbegriffen der einzelnen Bewertungsgruppen auf deren zu bewertende Tätigkeit bezieht. Wird demnach eine bestimmte Ausbildung im Oberbegriff einer Bewertungsgruppe vorausgesetzt, bedeutet dies, dass die bei einer solchen Ausbildung erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten eines Arbeitnehmers grundsätzlich erforderlich sind, um die von dieser Bewertungsgruppe erfassten Tätigkeiten überhaupt verrichten zu können. Damit ist der Oberbegriff der Bewertungsgruppe 5 ETV (“Fachkräfte mit abgeschlossener Berufsausbildung”) nicht dahingehend zu verstehen, dass eine Beschäftigte, die diese Voraussetzung erfüllt, ungeachtet ihrer konkreten Tätigkeit nach der entsprechenden Bewertungsgruppe des ETV zu vergüten ist. Vielmehr ist weitere – ungeschriebene – Voraussetzung, dass sie tatsächlich mit Tätigkeiten betraut ist, die eine solche abgeschlossene Ausbildung voraussetzen, was in vielen Tarifverträgen ausdrücklich geregelt ist (“… mit entsprechender Tätigkeit …”) und was sich vorliegend auch aus der Einleitung von § 4 Abs. 4 Unterabs. 4 ETV ergibt. Der Gegenstand der Eingruppierung ist die Tätigkeit des Arbeitnehmers und die bei deren Ausübung erforderlichen Anforderungen.
Danach erfüllt die Arbeitnehmerin das Tätigkeitsmerkmal der Bewertungsgruppe 6 des § 5 ETV im hier entschiedenen Fall nicht. Vorliegend hat die von der Arbeitnehmerin nach ihrer Einstellung ausgeübte Tätigkeit die Anforderungen der Bewertungsgruppe 5 ETV erfüllt. Sie hat diese Tätigkeit im Weiteren unverändert ausführt. Allein durch die ununterbrochene Ausübung dieser Tätigkeit für mindestens zwei Jahre hat kine Höhergruppierung in die Bewertungsgruppe 6 ETV zu erfolgen. Eine Höhergruppierung kommt nach den tarifvertraglichen Regelungen nur dann in Betracht, wenn der Arbeitnehmerin eine neue Aufgabe übertragen worden ist, die – anders als die bisherige – nicht lediglich eine abgeschlossene Berufsausbildung voraussetzt, sondern darüber hinaus Fähigkeiten und Kenntnisse, die aufgrund einer danach ausgeübten mindestens zweijährigen Berufserfahrung erworben worden sind. Dies ist bei der Arbeitnehmerin schon deshalb nicht der Fall, weil sich ihre Tätigkeit nicht verändert hat und deshalb auch keine – gegenüber dem Zeitpunkt ihrer Einstellung – veränderten Anforderungen stellt.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16. November 2016 – 4 AZR 127/15